«Verbrechen gegen die Menschlichkeit» anerkannt

In einem offenen Brief an Bundesrätin Baume-Schneider, Vorsteherin des schweizerischen Innendepartements, verlangten die Radgenossenschaft und weitere jenische Organisationen und Unterzeichnende Anfang 2024 die Anerkennung der Aktionen der Pro Juventute und anderer Beteiligter als «kulturellen Genozid». Dies, nachdem die Jenischen schon seit Jahren und Jahrzehnten darüber diskutiert hatten und eine erste Eingabe aus der Westschweiz ohne sichtbares Resultat geblieben war. So stiess die Radgenossenschaft nach.

Daraufhin setzte der Bundesrat einen bekannten Völkerrechtler – Oliver Diggelmann – ein, der die Frage juristisch prüfen sollte, er präsentierte das Ergebnis am 16. Februar 2025. Zentrale Aussage des Gutachtens: Die Handlungen der Pro Juventute und anderer Beteiligter in diesem Komplex sind völkerrechtlich als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» einzustufen. «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» stehen vom Schweregrad her auf gleicher Stufe wie ein Genozid.

Eine klare Stellungnahme. Die schweizerische Landesregierung hat die Ergebnisse offiziell anerkannt. Die Handlungen der Pro Juventute und Konsorten sind noch nie in dieser Klarheit offiziell verurteilt worden. Die Schweiz hat sich überhaupt in ihrer Geschichte noch nie zu einem solchen Tatbestand bekennen müssen.

Auch wenn das Gutachten sagt, dass kein «kultureller Genozid» oder ein Genozid «im völkerrechtlichen» Sinn» vorliege, lässt sich weiterhin von einem solchen sprechen. Es war ein kultureller Genozid im politischen Sinn, wie er auf Taten gegen die Bevölkerung in Tibet oder Indigene in Kanada angewendet wird. Kanadas Wahrheits- und Versöhnungskommission hat 2015 nach Anhörung von 6500 Betroffenen einen «kulturellen Genozid» festgestellt, das Haus of Commons stellte 2022 erneut einen «Genozid» fest. Wir fühlen uns Kanadas Indigenen verbunden und sind solidarisch mit ihrer politischen Beurteilung des Geschehens. Die Kindswegnahmen in Kanada und in der Schweiz sind vergleichbar, wie auch Vertreterinnen kanadischer Indigener bei Besuchen in der Schweiz wiederholt festgestellt haben.

Die Radgenossenschaft hält in einer Stellungnahme (Editorial von «Scharotl», Juni 2025) fest: «Erstmals in der schweizerischen Geschichte nimmt die Regierung unseres Landes zur Kenntnis, dass der Staat Verbrechen völkerrechtlicher Dimension begangen hat. Handlungen, die bei Betroffenen und in der Bevölkerung als Genozid oder kultureller Genozid wahrgenommen werden und die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert und anerkannt sind. Die Genugtuung bei den Betroffenen ist gross.»

Verweis. Das völkerrechtliche Gutachten von Prof. Oliver Diggelmann und seiner Mitarbeitenden sieht den Tatbestand des «Verbrechens gegen die Menschlichkeit» als erfüllt an. Das vollständige Gutachten, datiert vom 15. September 2024.

Drei Bilder aus einer Reportage des Fotografen Hans Staub in der «Schweizer Illustrierten» (mit Erlaubnis der Fotostiftung Winterthur):

  • Einweisung: Der Verantwortliche Alfred Siegfried bringt Kinder in eine Institution.
  • Zahnkontrolle: Der Verantwortliche der Pro-Juventute für die Aktion «Kinder der Landstrasse». Alfred Siegfried masst sich an, die Jenischen bis in die Körperöffnungen zu kontrollieren.
  • Nonnen: Schwestern betreuen die geraubten Kinder im Namen der Mitmenschlichkeit.

 

Bild Zelle (ebenfalls aus einer Illustrierten, evtl. Hans Staub): Die Gutachten der Psychiater und die Anweisungen der Sozialbehörden führten dazu, dass jenische Frauen und Männer sogar in der Strafanstalt Bellechasse (Kanton Freiburg) interniert wurden.